Essen (ots) – Die Ausbeutung osteuropäischer Wanderarbeiter auf deutschen Baustellen ist für Zollfahnder traurige Routine. Obwohl, vielleicht gerade weil dem Lohn-Dumping am Bau über das Entsendegesetz eine Grenze gesetzt ist, wird immer raffinierter betrogen. Männer, die weder Werkzeug besitzen noch jemals eine Rechnung geschrieben haben, werden fernab ihrer Heimat von skrupellosen Mittelsmännern als „Selbstständige“ aufs Gerüst geschickt, um den rechtlich fixierten Stundentarif unterbieten zu können. Oft spielen die Ausgebeuteten mit, weil sie so immer noch mehr verdienen als in Rumänien oder Bulgarien.
Handwerk hat keinen goldenen Boden mehr, nur noch verseuchten. Kontaminiert durch einen ruinösen Preiskampf.
Der Essener Fall hebt sich noch einmal vom düsteren Alltag in dem Gewerbe ab. Die hier geheuerten Wanderarbeiter wurden offenbar so knapp gehalten, dass sie sich kaum mehr ernähren konnten. Diese moderne Form der Sklaverei, wie Gewerkschafter in einmal zulässiger Empörung wettern, darf keinen Platz haben im größten Industrieland der EU. Zynischerweise schon gar nicht beim Bau eines Konsumtempels der Superlative.
Was passiert ist:
Essen. Es ist wenige Wochen her, da drängten sich vornehm gewandete Menschen auf der Großbaustelle am Limbecker Platz. Hier, am Rande der Essener Innenstadt, feierte ein Einkaufszentrum der Superlative Richtfest. Die lokale Prominenz gab sich die Ehre. Rund 300 Millionen Euro werden schließlich in dem zukunftsweisenden Konsumtempel verbaut. Der Polier sagte den Richtspruch auf. Es wurde feierlich.
Am gestrigen Freitag kommt es wieder zu einem Menschenauflauf am Rohbau, wenngleich zu einem viel kleineren. Drei Dutzend Männer bauen sich dort auf, wo einmal die Kunden ganz bequem ihr Auto über eine Spiralauffahrt auf eine mehrere Fußballfelder fassende Parkterrasse steuern sollen. Die Männer tragen ausgetretene Schuhe, zerschlissene Jeans, Bartstoppeln. Viele blinzeln mit müden Augen in die Mittagssonne, die das werdende Einkaufszentrum anstrahlt wie einen Ufo. Manche riechen streng nach Arbeit.
Einer von ihnen ist Adrian Szasz, der einmal Deutschlehrer in Rumänien war, bevor er Bauarbeiter wurde. Er hat gegenüber den anderen jetzt einen unschätzbaren Vorteil: Er versteht wenigstens, was gerade vor sich geht, 1500 Kilometer weg von Zuhause. Szasz und die meisten der übrigen Männer hatten im Frühsommer den Verlockungen einer Zeitungsannonce nicht widerstehen können. Eine Firma suchte in Osteuropa Bauarbeiter, die in Deutschland unglaublich viel Geld verdienen wollten. 1500 Euro pro Monat, Unterkunft und Verpflegung zusätzlich, Krankenversicherung, Anmeldung – alles völlig sauber. In Rumänien gibt´s 2,50 Euro pro Stunde.
„Man hat uns immer gesagt ´vertraut, vertraut´, aber nix ist passiert“, schimpft Szasz. Mittelsmänner eines türkischen Subunternehmers des Bauriesen Bilfinger Berger, der Generalunternehmer am Limbecker Platz ist, sollen die Osteuropäer, vor allem Rumänen und Polen, im Juli in Gladbeck als Selbstständige angemeldet haben. Fortan hausten sie dort unter mehreren Männern in einer Bleibe mit eilig zusammengezimmerten Betten und bekamen laut Agnes Jarzyna vom Europäischen Wanderarbeiterverband gerade so viel Geld, „dass sie genug zu essen hatten, um weiter zu malochen“. Als sich einer mal verletzte, riet man ihm, so Szasz, „einen Tag auszusetzen und eine Salbe zu nehmen. Bloß nicht zum Arzt“. Vom versprochenen Lohn sahen sie nichts. Jetzt sollen Lohnforderung von 90 000 Euro ausstehen.
Die IG Bau hat die kargen Zuwendungen flugs mit der geleisteten Arbeit abgeglichen und einen Stundenlohn von 1,48 Euro errechnet. „Das ist moderne Sklavenarbeit“, sagt Gewerkschaftssekretär Holger Vermeer. Der Fall wurde öffentlich, als die Osteuropäer auf Bezahlung pochten.
Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft. Auch Bilfinger Berger hat sich eingeschaltet. Essens Bürgermeister Rolf Fliß empfing die Bauarbeiter spontan. Die Gewerkschaft erkämpft eine Soforthilfe für die inzwischen hungernden Männer von 200 Euro pro Kopf. Wie es weiter geht, weiß seriös niemand.
Klaus Salzsieder ist eine rheinische Natur, zumindest hat sein singender Tonfall etwas Beruhigendes. Der Mann arbeitet bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Oberfinanzdirektion Köln. Er kennt „all die Tricks“, mit Scheinselbstständigen aus Osteuropa die deutschen Gesetzes- und Lohnbestimmungen zu unterlaufen. Mal auf freiwilliger, mal auf Knebelbasis. Nur belastbare Zahlen zum Lohn-Dumping, „die gibt´s nicht“.